Hören – Zuhören – Dazugehören

Sprachtherapie bei Hörstörungen und Cochlea-Implantat

Text: Josephine Messer
Fotos: Antje Kösterke-Buchardt

Beim 7. Herbsttreffen Patholinguistik am 16. November in Potsdam ging es dieses Jahr um das Thema Hören-Zuhören-Dazugehören. Mediziner, Therapeutinnen und Betroffene referierten über Störungen und die Therapie des Hörens mit Cochlea Implant (CI). Die Geschichte des CIs – der elektronischen Hörprothese, welche in der Lage ist, die Funktion des Innenohres zu ersetzen – begann vor 35 Jahren mit der ersten einseitigen CI-Operation. Heute existieren bereits 30 CI-Kliniken in Deutschland.

Den Einstieg in das Thema gab PD Dr. Gottfried Aust (Cochlear Implant Centrum Berlin-Brandenburg) mit einem Überblick über die Entstehung, Ursachen und Auswirkungen der Störungen des Hörvermögens. Er berichtete über die Schallleitungsschwerhörigkeit (z.B. bedingt durch Fremdkörper oder Entzündungen im Gehörgang) und die Schallempfindungsschwerhörigkeit, zu welcher u. a. auditive Wahrnehmungsstörungen zählen. Der in die Welt des Hörens einführende Vortrag endete mit einer interessanten Fragerunde, in der auch das Thema Altersschwerhörigkeit zur Sprache kam. Eine Hörstörung, bei der heutzutage Einflüsse wie Vererbung, Lärm und Ernährung eine Rolle spielen und welche in Naturvölkern nicht zu finden sei, so Dr. Aust.

Weiter ging es mit dem Vortrag der Diplom-Patholinguistin Steffi Heinemann (Sächsisches Cochlear Implant Centrum Dresden). Sie beschrieb die Beratung und Therapie von jugendlichen und erwachsenen CI-Trägern auf ihrem langen Weg zum neuen Hören. Vor der CI-Implantation bedarf es einer intensiven Beratungs-, Vorbereitungs- und Entscheidungsphase. Vier Wochen nach der Operation erfolgt die Prozessorerstanpassung, an die sich eine etwa zweijährige Rehabilitations- und Therapiephase anschließt, in der der Patient das Hören neu erlernt. Denn Hören bedeutet nicht gleich Verstehen. Das Hören mit CI ist ein Lernprozess, welcher viel Zeit, Übung und Wiederholung sowie Gewöhnung, Trageakzeptanz und Eigenmotivation erfordert. Während des Vortrages schilderten Betroffene in Videoaufnahmen eindrucksvoll, wie sich das neue Hören mit CI anfühlen kann. Frau Heinemann schloss ihren Vortrag mit den Worten ab, dass die Betreuung und Beratung der Patienten mit CI mit dem Ziel, die individuelle Hör- und Kommunikationssituation in allen Lebensbereichen zu verbessern, im Rahmen eines ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatzes wichtig ist. Und da jeder Patient mit CI seine eigene Hörbiografie und unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt, begegnen ihm auf seinem Weg zum neuen Hören ganz persönliche Grenzen und Hörerfolge.

Nach der Kaffeepause, in der der Tradition des Herbsttreffens folgend Poster begutachtet und mit deren Autoren ins Gespräch gekommen werden konnte, stellte Dr. Johannes Hennies (Universität Bremen) ein neues sprachaudiometrisches Verfahren zur Phonemwahrnehmung bei hörgeschädigten Kindern vor: den FinKon-Test. Dabei geht es um den Erwerb finaler Konsonanten und Flexionsmorpheme bei hörgeschädigten Kindern im Vergleich zu Normalhörenden. Folgende vorläufige Ergebnisse brachte die Studie hervor: Schwerhörige Kinder erwerben grammatische Strukturen verzögert, aber nicht qualitativ anders. Ihre phonologischen Fähigkeiten entwickeln sich bis zum 7. Lebensjahr, wobei einsprachig aufwachsende Kinder mit CI ihre phonologische Kompetenz weniger schnell als schwerhörige Kinder entwickeln.

Vor und nach dem warmen Mittagessen in der Mensa bekam das Publikum bewegende Einblicke in die Welt des Hörens, Zuhörens und Dazugehörens von Betroffenen. Die Soziologin, Audiotherapeutin und Buchautorin Maryanne Becker arbeitet seit mehr als zehn Jahren mit hörbeeinträchtigten Menschen und sprach über psychosoziale Aspekte bei Hörbeeinträchtigungen. Sie selbst ist 1997 aufgrund einer Syndromerkrankung ertaubt und beidseitig mit einem CI versorgt. Sie regte die Zuhörenden zum Nachdenken an, indem sie schilderte, dass Schwerhörige nicht nur leiser hören, sondern anders, v. a. bei Störgeräuschen sei das Verstehen außerordentlich erschwert. Vergleichbar sei das mit einer Käseglocke, die einen von den Mitmenschen trennt. Schwerhörige können sich oft nicht mehr auf ihr Gehör verlassen. Es kommt zur Einschränkung der Alarmierungsfunktion des Gehörs - Schreckhaftigkeit und Unfallgefahren gehören zum Alltag. Plötzlich werden vertraute Menschen fremd. Es kommt zu Missverständnissen und Misstrauen – Nachfragen erfordert Mut. Der Verlust des normalen Hörens kann auch den Verlust der Selbständigkeit mit sich bringen, z. B. wenn Angehörige in die Rolle eines Dolmetschers schlüpfen und für den Betroffenen entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Um ihre eigene Identität wahrnehmen zu können, benötigen Menschen den Austausch mit anderen, so Frau Becker.

Ebenso ergreifend war der Erfahrungsbericht von Brigitte Ehrmann-Neuhoff – Segen und Grenzen der künstlichen Ohren: Mein Hören mit zwei CI. Nachdem die Versorgung mit einem Mittelohrimplantat und mit Hörgeräten nicht den gewünschten Hörerfolg brachte, wurde Frau Ehrmann-Neuhoff 2008 links und 2011 rechts mit einem CI versorgt. Sie erzählte eindrucksvoll, wie sie auf dem Weg dahin immer wieder an Grenzen stieß: Das Aufgeben des Geigenstudiums. Hörversorgungen, die wie sie später selbst herausfand, nicht für sie geeignet waren. Die ausbleibenden Theater- und Kinobesuche. Ein Hörsturz. Das Wahrnehmen von Sätzen wie „Sie müssen nehmen Schere.“ Ein erneuter Hörsturz. Immer wieder Tests, die ihr Hörvermögen und ihr Wortverständnis überprüfen sollten, die aber aus ihrer Sicht nur wenig mit dem Hören im Alltag zu tun hatten. Und dann das CI als letzte Chance. Eine gute Beratung, der sie zutiefst dankbar ist, in der ihr jemand sagte, dass nicht sie die Schuld an den Hörverlusten sowie den ausbleibenden Hörerfolgen hatte und dass ein noch nicht versuchter Weg zu neuen Höreindrücken bestünde: das CI. Hoffnung und Hörerfolge stellten sich ein. Neue Höreindrücke wie das Brummen eines Kühlschrankes, Vogelgezwitscher, die Stimme geliebter Menschen. Aus der Erinnerung gelang ihr wieder das Zuordnen von Klängen zu Instrumenten. Auch wenn noch offene Wünsche bestehen, was das Hören betrifft, so haben ihr die zwei CIs viel neue Lebensqualität ermöglicht. „Sie sind ein Segen für mich, auch wenn ich damit anders höre.“

Zum Abschluss des 7. Herbsttreffens stellte Elke Hamann (Fachambulanz für Auditiv-Verbale Therapie Berlin) den Auditiv-Verbalen Ansatz für Kinder mit Hörschädigung und deren Eltern vor, welcher in Nordamerika seinen Ursprung hat. In Deutschland gibt es derzeit sieben Auditiv-Verbale Therapeuten. Das Ziel der Auditiv-Verbalen Therapie (AVT) ist das Hörenlernen, fußend auf einer frühen Erkennung der Hörbeeinträchtigung und einer ständigen Kontrolle und Anpassung der Technik durch eine audiologische und medizinische Versorgung, um einen maximalen Hörerfolg zu erzielen. In der AVT erlernen die Eltern einen bewusst förderlichen Umgang mit ihrem Kind, indem sie kleinste Hörreaktionen wahrnehmen lernen und eine für das Hörenlernen optimale Umgebung schaffen. Durch Videobeispiele aus der Praxis bekam das Publikum Einblicke in das Geben von Höranlässen, welche ein Hörbewusstsein schaffen und auf Sprache aufmerksam machen. Frau Hamann betonte, dass die AVT keine Sprachtherapie ist und eine begleitende Sprachtherapie notwendig sein kann.

Das diesjährige Herbsttreffen war eine gelungene Veranstaltung mit vielen praxisnahen (Hör-)Eindrücken. Jeder Vortrag hat auf seine eigene Art dazu beigetragen, das Hören, Zuhören und Dazugehören von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen verstehen zu lernen. Wir gratulieren den diesjährigen Gewinnerinnen der Posterpreise und freuen uns auf das 8. Herbsttreffen Patholinguistik am 15.11.2014.

Die Gewinnerinnnen des Posterpreises:

Platz 1
Sabine Schmidt, Daria Kisielewicz & Judith Heide (Universität Potsdam)
Die Rolle von Feedback in der Aphasietherapie: Eine Therapiestudie zur Behandlung von Wortfindungsstörungen

Platz 2 (wegen Stimmengleichstand zweimal vegeben)
Charleen Neumann, Jeannine Baumann, Sarah Meyer & Julia Siegmüller (LIN.FOR Rostock)
Die Therapie der Verbzweitstellung: Individuelle Therapieverläufe im DYSTEL-Projekt
und
Bianka Schramm & Blanca Schäfer (Katholische Hochschule Mainz & University of Sheffield)
Phonologische Bewusstheit bei deutschsprachigen Kindern mit bilateraler Cochlea Implantat Versorgung: Eine Pilotstudie