Lauter Laute
Phonologische Verarbeitung und Lautwahrnehmung in der Sprachtherapie
Text: Corinna Meyer
Fotos: Ulrike Krüger
Am 14.11.2015 fand das 9. Herbsttreffen Patholinguistik in Potsdam Griebnitzsee statt. Über 230 Interessierte besuchten die Vorträge zu dem Thema »Lauter Laute: Phonologische Verarbeitung und Lautwahrnehmung in der Sprachtherapie«.
»Lauter Laute« waren in den Morgenstunden am Samstag auf dem Campus Griebnitzsee eher vereinzelt zu hören. Während die Helferinnen und Mitglieder der AG Herbsttreffen noch in den letzten Vorbereitungen steckten, trafen die ersten Besucher zur Registrierung ein. Das 9. Herbsttreffen begann um 9 Uhr etwas früher als gewöhnlich, da bereits vor den Vorträgen vier Workshops angeboten wurden. Zwei davon waren dem Schwerpunktthema entsprechend phonologisch orientiert: PhoMoKids von Dr. Nicole Stadie und Förderung der phonologischen Bewusstheit bei Schulkindern von Dr. Julia Klitsch. Darüber hinaus erweiterten die Themen Klientenorientierte Gesprächsführung von Gesche Wattenberg und Christian Schoon sowie Transferarbeit in der Dortmunder Mutismustherapie von Ilka Winterfeld den Praxisbezug. Kurze Eindrücke von den Workshops finden Sie am Ende des Berichts.
Nach den Workshops war Gelegenheit zu einer Stärkung bei Kaffee und Häppchen und einer ersten Sichtung der Poster, bevor alle TeilnehmerInnen charmant von den Moderatorinnen Özlem Yetim und Constanze Otto im großen Hörsaal begrüßt wurden. Der Einstieg in das Schwerpunktthema war durch Prof. Dr. Sabine Corsten mit ihrem Vortrag über Modell-orientierte Therapie phonologischer Störungen bei Aphasie sehr gelungen. Sie verwies vor allem auf die Wirksamkeit der Verwendung phonologisch-phonematischer Minimalpaare, welche in Abhängigkeit von der zu therapierenden Ebene und der angesprochenen sprachlichen Modalität unterschiedliche phonematische Kontraste setzen. Das dazu erstellte Therapiematerial kann im Therapieprogramm »Ther-A-Phon« eingesehen werden. Im zweiten Hauptvortrag referierte PD Dr. Thomas Günther über die Steigerung der Effektivität von phonologischer Therapie bei Kindern. Er stellte heraus, dass eine ausführliche Anamnese und Diagnostik unabdingbar ist, um die Symptomatik, das Verhalten, die vorhandenen Ressourcen, eine Systemanalyse der Umgebung des Kindes und schlussendlich die Motivation des Kindes und der Betreuungspersonen zu ergründen und daraus Zielformulierungen für die Therapie abzuleiten, die – gemeinsam mit Kind und Eltern – nach Relevanz hierarchisch strukturiert werden sollten.
In der sich anschließenden Mittagspause mit warmem Mittagessen in der Mensa, das von vielen gelobt wurde, konnte die Zeit auch zum Verinnerlichen der Posterpräsentationen oder einem Gesprächsaustausch mit den Ausstellern im Foyer genutzt werden. Das folgende Spektrum Patholinguistik, die Reihe mit Kurzvorträgen von PatholinguistInnen, eröffnete Doreen Schöppe mit dem aktuellen Thema Effekte phonologischer Fördermaßnahmen bei mehrsprachigen Vorschulkindern. Ein wesentlicher Kern ihrer Arbeit war der Nachweis der Wirksamkeit von phonologischen Fördermaßnahmen bei zweisprachigen Kindern. Die Therapie der phonologischen Bewusstheit wurde anschließend von Antje Kösterke-Buchardt im Vortrag zur Therapie der auditiven und phonologischen Informationsverarbeitung anhand eines Fallbeispiels dargestellt. Besonders praxisbezogen war dabei die Vorstellung verschiedener genutzter Therapiematerialien. Im dritten Vortrag des Spektrums stellte Franziska Machleb einen Methodenvergleich in der Sprachtherapie bei juvenilem und adultem Moya-Moya-Syndrom vor. Dabei handelt es sich um ein seltene Erkrankung der Hirngefäße, deren zwei Erscheinungsformen Frau Machleb mithilfe von zwei Fallbeispielen hinsichtlich der Wirksamkeit von Sprachtherapie untersuchte.
Nach den Spektrumsvorträgen bot die zweite Kaffeepause noch einmal die Möglichkeit Poster, Aussteller und natürlich Getränke und kleine Snacks zu genießen. Gestärkt ging es im Anschluss in den zweiten Teil der Hauptvorträge, welche die Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) zum Inhalt hatten. Manfred Flöther verwies in seinem Vortrag Entstehung und Diagnostik der AVWS zunächst auf die Ursachen der AVWS und hob die Notwendigkeit einer ganzheitlich orientierten Diagnosestellung hervor. Nachdem eine AVWS diagnostiziert worden ist, sollten die verschiedenen Ausprägungsformen detailliert nach den entsprechenden Wahrnehmungs- und Verarbeitungsebenen beschrieben werden. Im Idealfall folgt auf die Diagnose eine Therapie und deren Möglichkeiten stellte Anke Rott in AVWS-Therapie bei Kindern im Kindergartenalter vor. Frau Rott erläuterte zu Beginn, dass die individuelle, auf das Kind ausgerichtete Therapie und Rituale die Grundpfeiler der therapeutischen Intervention ausmachen. Die inhaltliche Ausrichtung kann hinsichtlich der Verarbeitungsebenen (z.B. Höraufmerksamkeit, Richtungshören, Diskrimination, Selektion, Lautheitsempfinden) erfolgen. Zu jeder Ebene gab Frau Rott praxis- und alltagsbezogene Beispiele und Anregungen.
Die Begutachtung für den mit 200 Euro dotierten Posterpreis erfolgte in diesem Jahr zum ersten Mal im Vorfeld der Veranstaltung von einer unabhängigen Jury bestehend aus Dr. Luna Beck, Prof. Dr. Fank Domahs und Dr. Sandra Hanne. Dr. Hanne überreichte die Preise am Ende der Veranstaltung. Herzlichen Dank an alle, die das 9. Herbstttreffen möglich gemacht und es mit „Lauten“ gefüllt haben!
Das 10. Herbsttreffen Patholinguistik wird voraussichtlich am 19.11.2016 in Potsdam stattfinden.
Die ausführliche Fassung dieses Berichts erscheint in der Verbandszeitschrift PathoLink Nr. 26.
Die PreisträgerInnen des Posterpreises
Platz 1
Christiane Wotschack, Annegret Klassert & Julia Festman (Universität Potsdam)
Rapid Automatized Writing (RAW): Ein neuer Test zum Schreiberwerb
Platz 2
Lisa Krusche, Jonka Netzebandt & Ulrike Frank (Universität Potsdam)
SEE-DT: Screening für die Evaluation sEMG-gestützter Dysphagietherapie - Entwicklung und Untersuchung der Retest-Reliabilität
Platz 3
Patricia Purat (Universität Potsdam), Harald A. Euler (Universität Bochum, PARLO Institut) & Sarah Breitenstein (Universität Potsdam)
Beeinflusst bei Kindern, die stottern, die Behandlung mit Fluency-Shaping die Komplexität der sprachlichen Äußerungen?
Eindrücke aus den Workshops
Workshop 1
Klientenorientierte Gesprächsführung mit PatientInnen
Erhellende Einblicke in die Methodik der Klientenorientierten Gesprächsführung erhielten die TeilnehmerInnen des Workshops von Gesche Wattenberg und Christian Schoon vom Verein klarstellen-berlin e.V. Die beiden ebenso kompetenten wie sympathischen ReferentInnen gaben strukturierte Einblicke in das Vierseiten-Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz v. Thun. Die Prinzipien der Klientenorientierten Gesprächsführung nach Carl R. Rogers wurden unter anderem per Rollenspiel lebendig vermittelt. Dabei konnten die aktiven TeilnehmerInnen zahlreiche Situationen und Beispiele aus ihrer eigenen Praxiserfahrung beisteuern. Besonders haften geblieben bei der Autorin: das Eisbergmodell, das unter der „Wasseroberfläche“ verborgene Botschaften und Inhalte von Kommunikationsereignissen anschaulich verdeutlicht.
[Jonka Netzebandt]
Workshop 3
Schweigen braucht vernetzte Kommunikation – Transferarbeit in der Dortmunder Mutismus-Therapie [DortMuT]
Der Workshop zur Dortmunder Mutismustherapie war sehr praxisbezogen aufgebaut. Nach einem kurzen Überblick zur Transferarbeit wurden die verschiedenen Inhalte des Therapieprogramms DortMuT kurz beleuchtet. Im Fokus stand vor allem die Vernetzung mit dem Umfeld des Kindes. Sehr anschaulich wurde dabei das unterschiedliche Selbsterleben des Kindes in der Therapie gegenüber der eigenen Lebenswelt in Form eines Videos dargestellt. Die Beratung der Kontaktpersonen, die Partizipation des (schweigenden) Kindes und die sukzessive Vernetzung von Therapie und Alltag rundeten das Therapieprogramm in Form vieler kleiner Praxisbeispiele ab. Besonders hervorzuheben ist dabei die Fallpräsentation eines Mädchens vom Kita-Alter bis zum Schuleintritt über den gesamten Vortrag hinweg.
[Corinna Meyer]
Workshop 4
Lauter Laute spielend erlauschen – Ein Workshop zur spielerischen Förderung der phonologischen Bewusstheit bei Schulkindern
Nach einer kurzen theoretischen Einführung in die Modelle zur phonologischen Bewusstheit im engeren und weiteren Sinn bekamen alle Teilnehmerinnen die Gelegenheit, sich an der Erprobung verschiedener Spiele für die Therapie zu betätigen. Dr. Julia Klitsch hatte knapp zehn Therapiespiele, welche auf bereits existierenden Spielen aus dem freien Handel basierten, mit spezifischem Wortmaterial zur Förderung der phonologischen Bewusstheit vorbereitet. An vier verschiedenen Stationen spielten und diskutierten die Gruppen die Spiele, wandelten Regeln ab und tauschten sich über Variationsmöglichkeiten des Wortmaterials aus. Sowohl bekannte Spieleklassiker der sprachtherapeutischen Praxis als auch neue Spiele regten zu neuen Impulsen für die Praxis an.
[Marie Zielina]