Panorama Patholinguistik

Sprachwissenschaft trifft Sprachtherapie

Text: Anne Adelt
Fotos: Vera Loske-Burkhardt, Anne Adelt, Tom Fritzsche

Das Jahr 2016 war nicht nur das 15-jährige Verbandsjubiläum des vpl, sondern auch das Herbsttreffen fand in diesem Jahr zum 10. Mal statt. Aus diesem Anlass wurde die Patholinguistik wie bei einem Panoramabild aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Somit stand am 19.11.2016 entgegen der Tradition kein sprachtherapeutisches Thema im Mittelpunkt, sondern die Patholinguistik selbst – mit dem Ziel, eine Brücke zwischen Sprachwissenschaft und Sprachtherapie zu schlagen.

Kurz-Workshops

Wie bereits im Vorjahr begann der Tag für viele TeilnehmerInnen mit einem von vier Workshops. Auch bei der Wahl der Workshop-ReferentInnen blieb die AG Herbsttreffen dem Tagungsmotto treu und konnte insgesamt drei PatholinguistInnen für die Leitung der Workshops gewinnen. Allein an den Titeln der Workshops war dabei die Vielfalt der patholinguistischen Tätigkeitsfelder erkennbar: Diagnostik von SSES bei mehrsprachigen Kindern von Dorothea Posse, Die Anwendung der Unterstützten Kommunikation in der klinischen Praxis von Christoph Harder und Stimme in Bestform: Umgang mit der eigenen Sprechstimme im sprachtherapeutischen Berufsalltag von Nora Walch. Darüber hinaus wurde erneut der Workshop zur Klientenorientierten Gesprächsführung mit PatientInnen von Gesche Wattenberg und Christian Schoon angeboten.

dbs-Ausstellung »Was Sprachtherapie kann«

Die erste Kaffeepause bot den knapp 200 TeilnehmerInnen des Herbsttreffens Gelegenheit, sich am Büffet zu stärken, die Posterpräsentationen anzuschauen und die Stände der Aussteller zu besuchen. Darüber hinaus konnten die BesucherInnen dabei auch die Foto-Ausstellung des dbs »Was Sprachtherapie kann« betrachten. Die Ausstellung zeigt Portraits von Menschen mit Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen und verdeutlicht zudem auch das umfangreiche Fachwissen von SprachtherapeutInnen und die Leidenschaft, mit der sie sich für ihre PatientInnen engagieren. Die Idee zu dieser Ausstellung stammt von Beate Stoye, Praxisinhaberin in Halle/Saale und Vorsitzende der dbs-Landesgruppe Sachsen-Anhalt.

 dbs-Ausstellung »Was Sprachtherapie kann«
Eindrücke von der dbs-Ausstellung »Was Sprachtherapie kann«

Hauptvorträge (1. Teil)

Den Einstieg in die Hauptvorträge machte Dr. Astrid Schröder (Duden-Institute für Lerntherapie) zum Thema Lese-Rechtschreibschwierigkeiten in der integrativen Lerntherapie. Dr. Schröder präsentierte dazu beispielhaft das Vorgehen bei verschiedenen Therapieschwerpunkten, damit das Kind die nächste zu erwerbende Entwicklungsstufe erreicht. Dabei stellte sie auch den Bezug zu bekannten Therapiematerialien her, sodass die ZuhörerInnen die Therapieinhalte sehr gut nachvollziehen konnten. Im zweiten Hauptvortrag referierte Prof. Dr. Angela Grimm (Universität Osnabrück) über die unterschiedlichen Verläufe des Spracherwerbs von ein- und mehrsprachigen Lernern sowie die Implikationen für die Diagnostik. Sie stellte heraus, dass der Erwerbszeitpunkt der Verbbedeutung, Negation und von W-Fragen von der Erwerbsbiografie und der zu erwerbenden sprachlichen Struktur abhängt. Aus diesen Gründen hält Prof. Dr. Angela Grimm die Anwendung von pauschalen Kriterien bei der Auswertung von Diagnostikverfahren (z.B. undifferenzierte Normen auch für Mehrsprachige oder höhere Standardabweichungen vom Mittelwert monolingualer Kinder) für unangemessen, da das Risiko für Fehldiagnosen besteht. Stattdessen plädiert sie dafür, dass diagnostische Kriterien sowohl die Erwerbsbiografie als auch das sprachliche Phänomen berücksichtigen sollten.

Die Referentinnen zum Schwerpunktthema
Alle Referentinnen der Hauptvorträge

Mittagspause

Die nachfolgende Mittagspause konnte neben dem Mittagessen zum Austausch zwischen den TeilnehmerInnen sowie zum Besuch der Posterpräsentationen, Aussteller und Fotoausstellung genutzt werden.

Die Mittagspause in der Mena
Zur Mittagspause in der Mena

Kurzvorträge »Patholinguistik im Fokus«

Die sich anschließende Reihe von Kurzvorträgen »Patholinguistik im Fokus« eröffnete Prof. Dr. Barbara Höhle (Universität Potsdam) mit ihrem Vortrag zur Grundlagenforschung und Anwendungsperspektiven im frühen Spracherwerb. Dabei stellte sie die Ergebnisse aus sprachwissenschaftlichen Studien zur Verarbeitung von prosodischen Merkmalen bei Säuglingen vor. Bereits die frühen prosodischen Fähigkeiten stellen Indizien für den späteren Spracherwerb und das Auftreten von Sprachentwicklungsstörungen dar. Von aktuellen Themen aus der neurolinguistischen Forschung berichtete dann Prof. Dr. Isabell Wartenburger (Universität Potsdam) und stellte zwei aktuelle Studien vor. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass neben dem Erwerbsalter auch die semantische Typikalität bei der Materialerstellung für die Diagnostik und Therapie bei Aphasie berücksichtigt werden sollte. Prof. Dr. Michael Wahl (Humboldt-Universität zu Berlin) beleuchtete in seinem Vortrag die Patholinguistik aus berufspolitischer Perspektive. Dabei ging er zunächst auf die Geschichte des Diplom-Studiengangs Patholinguistik ein. Aus aktuellem Anlass berichtete Prof. Dr. Michael Wahl außerdem von der Verlängerung der Modellklausel, welche die Überführung der Modell- in reguläre Studiengänge um weitere viere bis fünf Jahre verzögern wird.

Die ReferentInnen zu »Patholinguistik im Fokus«
Die ReferentInnen der Vorträge »Patholinguistik im Fokus«

Hauptvorträge (2. Teil)

Im zweiten Teil der Hauptvorträge berichtete Judith Heide (Universität Potsdam) vom fehlerreduzierenden Lernen in der Aphasietherapie. Sie konnte überzeugend zeigen, dass sich ein fehlerreduzierendes Vorgehen insbesondere für Patienten mit Aufmerksamkeitsdefiziten, Gedächtnisstörungen oder mangelnder Krankheitseinsicht eignet, um das Einprägen von Fehlern zu vermindern und die korrekte Antwort möglichst oft zu präsentieren. Der letzte Vortrag des diesjährigen Herbsttreffens von Dr. Ulrike Frank (Universität Potsdam) beschäftigte sich mit der Anwendung der Oberflächen-Elektromyographie (sEMG) als Biofeedbackmethode in der Dysphagietherapie. Auf diese Weise können sowohl kraft- als auch koordinationsorientierte Therapieprotokolle durchgeführt werden. Dabei wies Dr. Ulrike Frank darauf hin, dass insbesondere durch die Anwendung des sEMG-Biofeedbacks in der koordinationsorientierten Intervention neben Übungseffekten auch Generalisierungseffekte und ein Transfer in den Alltag des Patienten erzielt werden können.

Vergabe des Posterpreises

Zum Abschluss der sehr gelungenen Jubiläumsveranstaltung wurde auch in diesem Jahr wieder ein Posterpreis vergeben. Dr. Antje Lorenz überreichte im Namen der Jury die Urkunden und Preisgelder an die drei bestplatzierten Posterpräsentatorinnen:

Platz 1
Alexa Wilzek, Ulrike Frank, Lenie van den Engl-Hoek & Maggie-Lee Huckabee (Universität Potsdam, Radboud University, Nijmegen & University of Canterbury, Christchurch, New Zealand)
Normdatenerhebung für den »Test of Mastication and Swallowing Solids« für Kinder und Jugendliche im Altersbereich von 4;00–13;11 Jahren

Platz 2
Giulia Maria Bruno, Romy Lassotta & Flavia Adani (Universität Potsdam)
Verarbeitung von komplexen Sätzen bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus Spektrum Störung: Eine Studie zum Verständnis von Subjekt- und Objekt-Relativsätzen

Platz 3
Lisa Ferchland, Charlotte Baatz, Judith Heide & Jonka Netzebandt (Universität Potsdam & P.A.N.-Zentrum, Berlin)
Komplexität als Wirkprinzip in der Sprechapraxie-Therapie: Eine Einzelfallstudie

Die Gewinnerinnen des Posterpreises beim 10. Herbsttreffen 2016
Die Posterpreisträgerinnen, v.l.n.r.: Lisa Ferchland, Giulia Bruno und Dr. Ulrike Frank

Dank an alle UnterstützerInnen

Ein herzlicher Dank geht an all diejenigen, die das 10. Herbsttreffen ermöglicht haben: die Workshop- und VortragsreferentInnen, die PosterpräsentatorInnen, die Helferinnen und nicht zuletzt die Sponsoren Wortkowski, Rehavista, Duden Institute für Lerntherapie, Cochlear und Fortbildungsfinder!

Das Herbsttreffen-Organisationsteam
Das Herbsttreffen-Organisationsteam